Axiomatische Thesen gelten als (stillschweigende) Annahmen, die dem Erwerb von wissenschaftlichen Einsichten vorausgesetzt sind. Sie bilden das Wissenschaftsparadigma, ohne das akademisches Arbeiten nicht möglich ist. In den Naturwissenschaften gilt eine axiomatische These aus zweierlei Gründen als fruchtbar:
a. wenn sie zu theoretischen Vorhersagen führt, die in wesentlichen Teilen einer empirischen Überprüfung standhalten
b. wenn sie signifikante konzeptuelle Vorteile bietet, also beispielsweise Einsichten in neuartige Zusammenhänge ermöglicht oder begriffliche Klärungen bietet, die bestehende Erkenntnis-grenzen überwinden helfen.
Das neue Buch von Thomas Görnitz gibt eine neuartige Darstellung der Quantentheorie und spannt den Bogen von der Teilchenphysik zur Kosmologie und zieht auch Aspekte der Bewusstseinspsychologie ein, ohne in die bei manchen Autoren beliebten esoterische Abgründe zu geraten. Dabei entwickelt er einen theoretischen Rahmen weitab vom „Mainstream“ der gegenwärtigen Physik und füllt diesen in wesentlichen Teilen muster¬gültig, verständlich und überzeugend aus, damit nachdrücklich auf den zweiten Teil theoretischer Fruchtbarkeit zielend.
Verkürzt beschrieben lautet die zugrundeliegende axiomatische These, dass der Ursprung alles Geistigen und alles Materiellen in nichtlokaler Information besteht, jenseits von Raum und Zeit. Die Grundbau¬steine von Information sind dabei sogenannte abstrakte Quantenbits, wie sie in der Quantenphysik oder Quanteninformationstheorie beschrieben werden, also als Vektoren in einem zweidimensionalen komplexwertigen Vektorraum.
Das damit verbundene Weltbild ist zweifellos kein dualistisches, etwa im Sinne der Geist-Körper-Theorie von Descartes und seinen Nachfolgern. Und es ist natürlich auch kein materialistisches Weltbild, welches alles Geistige auf Materielles zu reduzieren versucht, wie es gegenwärtigen Hauptströmungen der Neurobiologie versuchen. Näher kommt das hier vertretene Weltbild schon der Doppelaspekt-Auffassung von Spinoza, welcher Geist und Materie als zwei Aspekte eines Ursprungs sieht. Diesen gemeinsamen Ursprung nennt Spinoza „Gott“. Anzumerken ist vielleicht, dass sich Spinozas Gottesbegriff grundlegend von der von religiösen Institutionen vertretenen Gottesidee unterscheidet. (Der über Spinoza verhängte große Bannfluch einer dieser Institutionen ist eine folgerichtige Konsequenz dieser Tatsache)
In dieser kurzen Notiz kann keine umfangreiche Analyse und Würdigung des vorliegenden Buches erfolgen. Ich beschränke mich auf fünf knappe Anmerkungen:
1. Ein häufiges Missverständnis der Quantentheorie ist, dass diese ausschließlich im Bereich der Mikrophysik (Elementarteilchenphysik) agiert. Görnitz räumt gleich zu Beginn seines Buchs mit dieser Fehlaufassung auf, indem er eine Einteilung von Quanten in materielle, energetische und strukturelle vornimmt. Die Lokalisierbarkeit hängt von der innewohnenden Energie ab: je größer die Energie, desto stärker ist das Gebilde lokalisiert. Quantenbits als Grundbausteine von Information fehlt jede Lokalisierbarkeit.
2. Was die materiellen und energetischen Quanten betrifft, gibt der Autor eine sehr verständliche Erklärung des Zusammenhangs zwischen Energie, Teilchen und dunkler Materie. Dem Autor gelingt es, die Grundideen dieses Zusammenhangs gebildeten Laien zu vermitteln. Natürlich fehlt auch nicht das entsprechende Formelmaterial, um Studenten der Physik anspruchsvoll zu versorgen. Dabei wird auch eine Grundidee der modernen Teilchenphysik erläutert, nämlich, dass Teilchen die irreduziblen Darstellungen der Poincaré-Gruppe sind.
3. Die Äquivalenz von Masse und Energie wird ausgedehnt auf die Äquivalenz mit Quanten-information. Dabei werden Einsichten der Thermodynamik verwendet, eine oft unterschätzte Theorie der Physik, über die Max Planck schon 1897 ein berühmtes Lehrbuch schrieb. Die Ursprünge dieser Auffassung von Quanteninformation gehen auf Carl Friedrich von Weizsäcker zurück, der den Begriff der „Ure“ prägte. Görnitz und seine Kollegen haben diesen Begriff jedoch wesentlich weiter¬entwickelt, sodass dieser auf überzeugende und theoretisch zwingende Weise kosmologische Vorstellungen der Gegenwart bereichert. Insbesondere das Geflecht der Begriffe frühe schwarze Löcher, Horizont¬problem, Inflation, dunkle Energie und dunkle Materie wird neuartig analysiert, wobei das herkömmliche kosmologische Standardmodell hinterfragt wird.
4. Eine entscheidende Rolle in der Neuanalyse kosmologischer Effekte spielt der Kraftbegriff. Bekanntlich unterscheidet die moderne Physik vier Arten von Kräften: Die elektromagnetische Kraft (welche die Elektronen in der Nähe des Atomkerns hält und die entscheidend für die Quantenchemie ist), die schwache Kraft (Radioaktivität), die starke Kraft (welche den Atomkern zusammenhält), die Gravitationskraft (welche gemäß Einstein die Krümmung des Raumes bewirkt). In der Grundlagenphysik werden die fundamentalen Kräfte durch den Austausch von strukturellen Quanten im Rahmen von Quantenfeldtheorien beschrieben. Dies führt jedoch für die Gravitation zu grundlegenden Schwierigkeiten, denen Görnitz im Einzelnen nachgeht. Sein Vorschlag: Gravitation ist keine Kraft, welche durch den Austausch von Teilchen verursacht wird, sondern eine entropische Kraft, welche durch eine inhomogene Verteilung der Informations-elemente im Universum verursacht wird, also durch eine inhomogenen Entropieverteilung im Raum. Letztendlich ergeben sich daraus entsprechende Kräfte und Energieverteilungen. Eine ähnliche Auffassung wird von dem niederländischen Nobelpreisträger Gerardus ‘t Hooft und seinem Schüler Erik Verlinde vertreten.
5. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich das Gebiet der Quantenkognition sprunghaft entwickelt. In diesem Teilgebiert der Psychologie wird davon ausgegangen, dass die der Quantenphysik zugrunde gelegten mathematischen Strukturen nutzbringend in der theoretischen Kognitionspsychologie angewandt werden können. Das bringt nicht nur konzeptuelle Vorteile der Vereinheitlichung einer psychologischen Theorie, sondern hat auch wirkungsvolle empirische Konsequenzen, wie in zahlreichen Studien von Aerts, Busemeyer, Pothos, Bruza, Atmanspacher, beim Graben und vielen anderen gezeigt wurde. Im vorliegenden Buch wird dieser Aspekt allerdings kaum diskutiert und eine Begründung der Quantenkognition basierend auf abstrakter Quanteninformation eher als Aufgabe für die Zukunft gesehen.
Das Buch zeichnet sich durch eine klare Sprache aus und findet auch zu den anspruchsvollsten Problemen einen eleganten didaktischer Zugang, der Missverständnisse vermeidet. Das beginnt mit dem Begriffspaar Möglichkeiten/Fakten und der darauf basierenden Einführung von zentralen Begriffen der Quantentheorie wie Komplementarität, Verschränkung etc.
Inhaltlich vermittelt das Buch eine einheitliche Naturanschauung, die wesentlich auf der Idee von abstrakter Quanteninformation beruht. Während die Standardkosmologie komplexe Quantenfelder stipuliert, die bislang ohne jeden Nachweis für die dazu notwendigen Teilchen geblieben ist, basiert die auf Quanteninformation beruhende Kosmologie nicht auf der Annahme bestimmter Teilchen und löst die bestehenden Probleme (dunkle Energie, Horizontproblem, Inflation etc.) auf überraschende und mit weniger Stipulationen auskommende Weise, allerdings bislang ohne direkte empirische Belege, an denen es im Übrigen auch der Standardkosmologie mangelt.
Ein großer Vorzug des vorliegenden Werks ist ein völlig neuartiger Ansatz zur Lösung des Geist-Körpers Problems und der damit ermöglichte Zugang zu einer Quanteninformationstheorie der Kognition. Das öffnet einen Bereich der Theoriebildung, zu dem die experimentelle Psychologie auch mit empirischen Belegen aufwarten kann, wie jüngste Entwicklungen zeigen.
Das Wesen der Wissenschaft ist, dass sie Fragen stellt, Antworten sucht und sich vor allem weiter entwickelt. Die Quantentheorie ist über 100 Jahre alt, aber es gab eine Zeit, in der sie sehr kreativ weitergedacht und weiterentwickelt wurde. Genannt seien hier vor allem Werner Heisenberg und Carl-Friedrich von Weizsäcker.
Heute, zumindest ist das mein Eindruck, ist die Quantentheorie vor allem zu einer breit und erfolgreich im technischen Bereich angewandten Wissenschaft geworden, und es gibt immer weniger Physiker, die mutig genug sind, über diesen Anwendungsbereich hinauszudenken.
Thomas Görnitz, langjähriger Mitarbeiter von Carl-Friedrich von Weizsäcker, war auch in seinen vorherigen Büchern, teils allein, teils in Co-Autorschaft mit seiner Frau Brigitte, mutig genug, die Konsequenzen aus der Quantenphysik weiter zu denken, und vor allem das Denken und das Bewusstsein mit in die Physik zu integrieren und es zu begründen.
In diesem neuen Grundlagenwerk wird die Quantentheorie noch einmal ganz allgemein erklärt, aber auch in Bezug zur Protyposis-Theorie von Görnitz gestellt. Aber auch Fragen zum Leben und der Evolution werden behandelt. Und vor allem wird in einer wesentlichen Erweiterung der bisherigen Bücher von Görnitz in diesem Buch eine mathematische Grundlage für die Protyposois-Theorie gegeben. Natürlich ist Mathematik auf diesem Niveau für einen nicht-Phyiker und -Mathematiker sehr schwierig zu verstehen. Aber es ist wichtig, eine Theorie auch entsprechend zu untermauern, wenn sie Anerkennung finden will.
Das 600 Seiten starke Buch richtet sich mit Sicherheit nicht an eine breitere Öffentlichkeit. Aber all diejenigen, die weiter denken wollen als im Rahmen des "Teilchenzoos" der heutigen Physik, für dessen Erforchung gigantische Summen an Geld in Teilchenbeschleuniger gesteckt werden, sind bei diesem Buch richtig aufgehoben. Es ist dick, nicht immer einfach zu lesen, aber es ist allemal für Interessierte wert, es sich zuzulegen, und sei es nur, um bestimmte Abschnitte zu lesen.
Der Titel "Quantentheorie verstehen" drückt nicht ganz aus, wie spannend es in dem Buch zugeht. Wer sich mit Formeln auskennt, sieht aber bereits auf dem Umschlag, das hier etwas ganz Neues, Spannendes präsentiert wird.
Schon der Titel ‚Quantentheorie verstehen‘ lässt erahnen, dass es in diesem wissenschaftlichen Buch um fundierte Kenntnisvermittlung geht. Quantentheorie wirklich verstehen, das bedeutet dieses Buch.
Auch wenn oft ein hoher Anspruch an den Leser gestellt wird, lohnt sich die Mühe dieses umfassende Werk Schritt für Schritt zu verstehen. Von der großen abstrakten Übersicht mit den grundsätzlichen Fragen werden die einzelnen Detailthemen hervorragend herausgearbeitet und mit herrlichen, passenden und sehr eingängigen Beispielen erklärt und belegt. Auch wenn sich ab und zu beim Lesen einzelner Details der Eindruck einschleicht, man verstehe nicht alles, baut sich innerlich doch das große ganze Bild der Quantentheorie stetig auf: von den Quanten über die Kosmologie bis zum Leben und Bewusstsein.
Sicher ist etwas Energie und Konzentration erforderlich, aber so umfassend wird Quantentheorie sehr selten beleuchtet. Thomas Görnitz bleibt nicht nur bei der Physik, sondern stellt auch sehr anschaulich die philosophische Konsequenz sowie die notwendige Mathematik dar (ein Genuss für mathematisch Interessierte). Die weniger mathematikaffinen Leser können oder dürfen diese auch gerne überspringen, ohne dass dabei das grundsätzliche Verständnis an der Quantentheorie darunter leidet. Nicht zuletzt kommt auch die historische Entwicklung mit seinen vielen unterschiedlichen Fragestellungen nicht zu kurz.
Durch die Beschreibung und Herleitung einer gemeinsamen Basis für die Physik und den Naturwissenschaften entsteht ein gutes Verständnis für den komplexen Stoff, auch wenn man nicht jedes Detail versteht oder verstehen muss. Man bekommt zumindest ein gutes Gefühl für die inneren Zusammenhänge von der globalen Kosmologie bis hin zum Leben inklusive dem Bewusstsein und dass sie auf den gleichen Prinzipien beruhen.
Für den naturwissenschaftlich interessierten Leser (fast) eine Pflichtlektüre und gleichzeitig auch ein Nachschlagewerk. Wofür auch die ausgefeilte Struktur des Buches sorgt.
1994 bis 2009 Professur für Didaktik der Physik an der Goethe-Universität Frankfurt/M.
Arbeiten zur verständlichen Darstellung der Quantentheorie.
1994 Gründer der C. F. v. Weizsäcker-Gesellschaft. Bis 2016 Vorsitzender.
Mehr als zwei Jahrzehnte wissenschaftliche Zusammenarbeit mit Carl Friedrich v. Weizsäcker, zahlreiche Veröffentlichungen und Vorträge der Deutschen Physikalischen Gesellschaft und vieler weiterer Institutionen.
Michael und Biserka Baum-Preis des Frankfurter Fördervereins für physikalische Grundlagenforschung
Bücher:
Von der Quantenphysik zum Bewusstsein
Kosmos, Geist und Materie
Springer Verlag 2016
Der kreative Kosmos
Geist und Materie aus Quanteninformation
Springer Spektrum 2013
1994 bis 2009 Professur für Didaktik der Physik an der Goethe-Universität Frankfurt/M.
Arbeiten zur verständlichen Darstellung der Quantentheorie.
1994 Gründer der C. F. v. Weizsäcker-Gesellschaft. Bis 2016 Vorsitzender.
Mehr als zwei Jahrzehnte wissenschaftliche Zusammenarbeit mit Carl Friedrich v. Weizsäcker, zahlreiche Veröffentlichungen und Vorträge der Deutschen Physikalischen Gesellschaft und vieler weiterer Institutionen.
Michael und Biserka Baum-Preis des Frankfurter Fördervereins für physikalische Grundlagenforschung
Bücher:
Von der Quantenphysik zum Bewusstsein
Kosmos, Geist und Materie
Springer Verlag 2016
Der kreative Kosmos
Geist und Materie aus Quanteninformation
Springer Spektrum 2013